Mitteilungen

Kolumne: Das Labyrinth der Möglichkeiten

, Carina Ströhlein

Schule > Ausbildung/Studium > Job No. 1 – that’s it? Ein recht klassisches Bild und längst überholt. Versteht mich nicht falsch – wenn der Job No. 1 die berufliche und persönliche Erfüllung schlechthin zu versprechen mag: Don’t touch it! Oft kristallisieren sich jedoch erst im Laufe der Jahre die eigenen tatsächlichen Talente und Tendenzen heraus. Viele möchten dem nachgehen. Nischen und Verästelungen der bisherigen Berufsbasis werden exploriert, die Frage nach dem «was ist möglich?» wird lauter und der erste Schritt ins Labyrinth ist gesetzt.

Labyrinth? Welches Labyrinth?
Stellt man sich das doch recht breitgefächerte Spektrum der Technischen Redakteur*innen mit all seinen Verästelungen vor, merkt man schnell, wie viele nochmals eigene Berufsfelder hier vereint sind: Autor*innen, Content Management Professionals, Information Architects, Übersetzungsmanager*innen, Grafiker*innen, Online Editor, Terminolog*innen, UX/UI- Designer*innen, E-Learning-Spezialist*innen, Product Information Manager, Ontolog*innen, etc.

Die klassische Technische Dokumentation als Fundament hierfür ist super, ob man sich diese Berufsbasis nun durch Ausbildung, Studium oder Weiterbildung erarbeitet hat. All die oben genannten Zweige werden angeschnitten – die einen mehr, die anderen weniger intensiv.

Was aber nun, wenn ich meine Zukunft nach dem Sammeln einer gewissen Berufspraxis verstärkt im Bereich UX/UI-Design sehe und mir hier gerne weitere fachliche Skills aneignen möchte? Welchen Weg gehe ich nun konkret, um dorthin zu gelangen? Muss ich gar meinen aktuellen Beruf verlassen?

Bereits seit mehreren Jahren wird bspw. die Softwareentwicklung vermehrt im agilen Umfeld betrieben. Agil zu arbeiten, bedeutet grob gefasst, schnell auf Veränderungen reagieren zu können und dementsprechend möglichst flexibel und transparent zu sein. Um das gewährleisten zu können, wird nicht nur auf geballtes Schwarmwissen gesetzt, sondern ein weiterer Ansatz verfolgt: Know-how sharing. Schwarmwissen ist toll, hat aber – für sich alleine stehend – einen Nachteil: Wird Biene A krank, ist Bereich A nicht mehr bedient, ergo weniger Honig für alle. Know-how sharing ganz einfach erklärt bedeutet: Biene A wird krank, Biene B springt ein und kann die Bereiche A+B bedienen, ergo kein Honigverlust (im Optimalfall) und Biene A kann es sich leisten, im Krankheitsfall auch mal im Bienenstock zu bleiben und sich nicht zur Arbeit zu schleppen. Im agilen Umfeld werden also Skills bereichsübergreifend verteilt. Der jeweilige fachliche Horizont der Mitarbeitenden wird erweitert.

Greifen wir das Beispiel von oben noch einmal auf und teleportieren uns ins Labyrinth:
Wir in der Technischen Dokumentation haben jetzt natürlich den Vorteil, dass wir von Berufswegen bereits hybride Menschen sind, die täglich den Spagat zwischen Technik- Spezialist*innen und empathischen Pseudo-Psycholog*innen vollziehen. Wieso sich also nicht auch noch gemäss know-how sharing ein bisschen mit der UX/UI-Designerin über die eigenen Bereiche austauschen und das skill set ausbauen? Vielleicht könnte man sogar einen Schritt weitergehen und sich an einem temporären Rollenaustausch probieren? Das muss keineswegs Zeitverschwendung für das Unternehmen bedeuten, falls hier der Gedanke aufkommen sollte, dass für «Spiel und Spass» kein Platz ist. Die UX/UI-Designerin hat die Chance, nun besser nachzuvollziehen, weshalb es denn trotz ausgefeilter User Experience immer noch eine Abteilung für die Technische Dokumentation gibt und die Technische Redakteurin kann sich innerhalb des aktuellen Jobfeldes vertieft mit der Wunschthematik auseinandersetzen. Beide Felder können dadurch die sogenannte Betriebsblindheit durchbrechen, Verbesserungspotentiale aufdecken, den Kund*innen gemeinsam eine optimierte Lösung präsentieren und schlussendlich auch persönlich voneinander profitieren.

Zusammengefasst habe ich den Eindruck, dass es einen zunehmenden Trend sowie ein Verlangen nach Verwirklichung persönlicher Bedürfnisse in Richtung hybrider Rollenmodelle gibt. Nicht nur die Automobilindustrie merkt schon lange, dass sie da nicht mehr drumherum kommt. Im Zuge der Digitalisierung wird uns ohnehin ein tieferes Verständnis von Technik und IT abverlangt. Starre Strukturen und Berufszweige könnten somit aufgebrochen, weitere Stärken/Tendenzen innerhalb des fachlichen Repertoires vertieft sowie der persönliche Horizont erweitert werden. Somit werden auch überflüssige und unnötig verkomplizierende Wände/Gänge im Labyrinth aufgelöst. Ein echtes Zukunftsmodell also?

Was denkt ihr darüber? Glaubt ihr auch, dass sich die Zukunft weiter in diese Richtung entwickeln könnte?